Brauchbare Illegalität von Stefan Kühl - Taschenbuch

Brauchbare Illegalität
Vom Nutzen des Regelbruchs in Organisationen
ISBN/EAN:  9783593513010
Sprache: Deutsch
Umfang: 278 S.
Einband: kartoniertes Buch
Auch erhältlich als:
Alle weichen mal von den Regeln ab. Das gehört zum Leben in Organisationen dazu. Der Grund: Organisationen brauchen Regeln, um berechenbar zu sein, für situative Anpassungen sind aber auch Regelbrüche nötig. Da diese überhaupt erst das Funktionieren von Organisationen aufrechterhalten, spricht man in der Organisationsforschung von 'brauchbarer Illegalität'. Dabei ist, so der Soziologie und Organisationsberater Stefan Kühl, nicht jeder Verstoß nützlich: Manchmal zielt er nur auf einen persönlichen Vorteil, nicht selten endet er in einem für die Organisation hochriskanten Skandal. Wie kommt es zu Regelbrüchen? Wann können von ihnen wichtige Impulse ausgehen? Wo liegen Probleme der Regelabweichungen? Wie kann man sich intern über sie austauschen? Anhand einer Vielzahl von konkreten Fällen wirft der Autor einen genauen Blick auf die Nützlichkeiten und Risiken der alltäglichen Regelabweichungen in Organisationen.
Stefan Kühl ist Professor für Soziologie an der Universität Bielefeld. Er arbeitet als Organisationsberater der Firma Metaplan für Ministerien, Verwaltungen, Unternehmen und Hochschulen. Zuletzt erschienen von ihm bei Campus 'Wenn die Affen den Zoo regieren. Die Tücke der flachen Hierarchien', 'Das Regenmacher-Phänomen. Widersprüche im Konzept der lernenden Organisation' und 'Sisyphos im Management. Die vergebliche Suche nach der optimalen Organisationsstruktur'.
Regelverletzungen in Organisationen - Eine Einleitung Wenn wieder einmal eine Organisation wegen eines Umweltverstoßes, Schmiergeldskandals oder einer Finanzmanipulation in der öffentlichen Kritik steht, lohnt sich ein Blick in das klassische Theaterstück des Dramatikers Heinrich von Kleist über die Befehlsverweigerung des Prinzen Friedrich von Homburg. Kleist, der selbst in seiner Jugend als Leutnant in der preußischen Armee gedient hatte, konfrontiert in diesem Theaterstück seinen Helden mit allen Tücken einer erfolgreichen Regelabweichung. Die Geschichte ist denkbar einfach. Der Prinz von Homburg dient als General der Reiterei in der Armee des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg. Vor der Schlacht gegen die schwedischen Truppen erteilt der Kurfürst seinen Generälen den Befehl, den Feind nur nach ausdrücklicher Anordnung anzugreifen - jeder solle, 'wie immer auch die Schlacht sich wenden mag, vom Platz nicht, der ihm angewiesen, weichen' (Kleist 1996, S. 528). Der oberste Befehlshaber der Armee verpflichtet die Organisation und all ihre Mitglieder auf strikte Gefolgschaft und Einhaltung der Befehlswege. Aber der Prinz von Homburg tut so, als hätte er diesen Befehl nicht gehört - vielleicht hat er ihn auch nicht gehört - und befiehlt seiner Kavallerie trotz der fehlenden Order und trotz der eindrücklichen Warnung seines ersten Offiziers den Angriff. Er fordert von seinen Untergebenen unbedingte Gefolgschaft ein: 'Ein Schurke, wer seinem General zur Schlacht nicht folgt!' Und er übernimmt die Verantwortung: 'Ich nehm's auf meine Kappe. Folgt mir, Brüder!' (Kleist 1996, S. 536) Der Prinz entpuppt sich also als Paradebeispiel einer proaktiv agierenden, Risiko eingehenden und Verantwortung übernehmenden transformationalen Führungskraft. Und die Risikobereitschaft zahlt sich aus. Der Überraschungseffekt gelingt. Durch die mutige Initiative des Prinzen gewinnt die Brandenburg-preußische Armee die Schlacht. Der Erfolg ändert jedoch nichts daran, dass es sich um einen klaren Fall von Befehlsverletzung handelt. Der Kurfürst von Brandenburg ist empört: 'Wer immer auch die Reiterei geführt, am Tag der Schlacht. damit ist aufgebrochen, eigenmächtig,. bevor ich Order gab., der ist des Todes schuldig, das erklär ich.' (Kleist 1996, S. 544) Der Kurfürst lässt den Prinzen verhaften und verhängt das Todesurteil über den Gehorsamsverweigerer. Sicherlich in Kleists Drama geht es nicht um die ähnlichen Verhaltensmuster der Vielen, sondern es lebt von der für Theaterstücke üblichen Zuspitzung auf einzelne Personen und ihre Konflikte. Dennoch stecken in dem Stück bereits fast alle Fragen, die sich Organisationen beim Umgang mit Regelabweichung und Gesetzesverstößen stellen. Es liegt ein klarer Regelverstoß vor, aber gibt der Erfolg dem Regelbrecher nicht nachträglich recht? Und wer darf beurteilen, ob der Regelbruch letztlich ein Erfolg gewesen ist? Die Schlacht ist gewonnen, aber ein Großteil der schwedischen Armee konnte fliehen. Ist der Gewinn der Schlacht nicht nur ein Pyrrhussieg, der sich bei der nächsten Schlacht bitter rächen kann? Hätte ein kluges Abwarten vielleicht die Vernichtung des gegnerischen Heeres und damit nicht nur den Sieg in der Schlacht, sondern vielleicht auch im ganzen Krieg bedeutet? Und was treibt den Regelbrecher an? Auf den ersten Blick nur das Wohl der Organisation aber spielt nicht auch die Suche nach individuellem Ruhm eine Rolle? Hat er die Kosten und Nutzen der Befehlsverweigerung für sich und auch für das gesamte Herr rational durchkalkuliert, oder hat er intuitiv gehandelt? Und last, but not least wie soll die Organisation mit diesem auf den ersten Blick erfolgreichen Regelbruch umgehen? Soll man den Regelverletzer wie vom Kurfürsten angekündigt trotz seiner möglicherweise guten Absichten und trotz des Erfolges bestrafen oder soll man ihn als vorbildhaften Organisationsrebellen und Musterbrecher feiern? Funktionale Regelverletzungen und brauchbare Illegalität Organisationen m
Inhalt Regelverletzungen in Organisationen – Eine Einleitung 9 1 Funktionale Regelverstöße und brauchbare Illegalität – Warum sich Regelabweichungen in Organisationen nicht vermeiden lassen 23 1.1 Die Personalisierung der Verantwortung 24 1.2 Gründe für Regelabweichungen 28 1.3 Zwischen formalen Konsistenzerwartungen und widersprüchlichen Umweltanforderungen 32 1.4 Grauzonen zwischen Regeleinhaltung und Regelverletzung 37 2 Verstöße gegen »Gesetze des Staates« und »Gesetze der Organisation« 43 2.1 Wie man Erwartungen fixieren kann – Ähnlichkeiten und Unterschieden von Positivierung und Formalisierung 44 2.2 Die Zurechnung der Verantwortung für Gesetzesverstöße 51 2.3 Sensibilitäten und Toleranzen gegenüber Gesetzesverstößen 58 2.4 Fließende Übergänge zwischen Verstößen gegen Gesetze und Verstößen gegen die Formalstruktur 60 3 Die schwierige Unterscheidung zwischen brauchbarer und unbrauchbarer Illegalität 65 3.1 Auf der Suche nach persönlichen Vorteilen – Unterschlagung, Korruption, Arbeitsverweigerung 67 3.2 Illegale Lösungen für das Motivationsproblem 71 3.3 Der Charme informaler Entlohnungen in Organisationen 76 3.4 Die Grenzen informaler Belohnungssysteme 78 4 Zur Erosion formaler Normen – Der Kontakt von Organisationen mit eingehegter Illegalität zu Organisationen mit entgrenzter Illegalität 83 4.1 Epidemische und eingedämmte Regelabweichung 85 4.2 Eine Frage der Loyalität – Organisationsmitglieder in Rollenkonflikten 89 4.3 Kontaktflächen – Kooperationen zwischen Organisationen mit eingehegter und entgrenzter Illegalität 97 4.4 Organisationen im Graubereich zwischen kontrollierter und unkontrollierter Regelabweichung 101 5 Entstehung, Durchsetzung und Regulierung von Regelabweichungen 105 5.1 Die Entstehung von regelmäßigen Regelabweichungen 109 5.2 Das Erlernen von Regelabweichungen 113 5.3 Die Herstellung von Kooperationsbeziehungen bei brauchbarer Illegalität 117 5.4 Zur Durchsetzung informaler Erwartungen 120 5.5 Öffnung und Schließung von Fenstern rationaler Kalkulationen 124 6 Regelbuch statt Regelbruch – Reaktion auf das Bekanntwerden brauchbarer Illegalität 127 6.1 Auf der Suche nach der transparenten, durchformalisierten Organisation 129 6.2 Ungewollte Nebenfolgen einer Politik konsequenter Regelkonformität 134 6.3 Das geschicktere Verstecken von Regelabweichungen 141 6.4 Die Zerstörung des informalen Wissensmanagements 145 7 Die Moralisierung der Organisation – Zur Produktion von Heuchelei 147 7.1 Zum Unterschied von Legalität und Moralität 150 7.2 Moral als Ausdruck der Achtung und Missachtung von Personen 155 7.3 Moralisch aufgeladene Kulturprogramme als Aufforderung zur Heuchelei 158 7.4 Die Akzeptanz der Funktionalität von Regelabweichungen 164 8 Zum Management von Regelkonformität und Regelabweichung – Ein Fazit 167 8.1 Regelkonformität und Regelabweichung als Sprichwörter des Managements 169 8.2 Daumenregeln zum Umgang mit brauchbarer und unbrauchbarer Illegalität 171 8.3 Die Thematisierbarkeit des Nichtthematisierbaren 174 8.4 Auswege aus dem Prinz-von-Homburg-Dilemma 179 Anhang – Theoretische und methodische Überlegungen 183 Zur Konzeption des Buches 183 Empirischer Zugriff 185 Zur Anonymisierung der Empirie 190 Anmerkungen 197 Literatur 231
Der Sinn von Regelbrüchen
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