Feindbild Fremde von Karina Kriegesmann - Taschenbuch

Feindbild Fremde
Xenophobie als mediale Praxis in Brasilien (1917-1930), Eigene und Fremde Welten 38
ISBN/EAN:  9783593512006
Sprache: Deutsch
Umfang: 353 S.
Einband: kartoniertes Buch
Ängste vor »unerwünschten Fremden« zu erzeugen und Gefahrenszenarien der Immigration zu verbreiten, ist nicht nur ein Phänomen der Gegenwart – dies hat eine lange Geschichte. Karina Kriegesmann beschäftigt sich erstmals mit dem Schüren fremdenfeindlicher Ressentiments in Brasilien in den Jahren zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Weltwirtschaftskrise. Sie zeigt am Beispiel dieses südamerikanischen Einwanderungslandes auf, wie Wahrnehmungen von Mobilität, Diversität und einer enger zusammenwachsenden Welt mit der vor allem durch die Presse propagierten Xenophobie und mit Abschottung einhergingen.
Karina Kriegesmann ist wiss. Mitarbeiterin in der Abteilung Geschichte Lateinamerikas der Freien Universität Berlin.
Einleitung 'Vor 1914 hatte die Erde allen Menschen gehört. Jeder ging, wohin er wollte und blieb, solange er wollte. [.] Es gab keine Permits, keine Visen, keine Belästigungen; dieselben Grenzen, die heute von Zollbeamten, Polizei, Gendarmerieposten dank des pathologischen Mißtrauens aller gegen alle in einen Drahtverhau verwandelt sind, bedeuteten nichts als symbolische Linien [.]. Erst nach dem Kriege begann die Weltverstörung durch den Nationalismus, und als erstes sichtbares Phänomen zeitigte diese geistige Epidemie unseres Jahrhunderts die Xenophobie: den Fremdenhaß oder zumindest die Fremdenangst.' Diese Worte wählte der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig in seiner Autobiographie Die Welt von Gestern, die er kurz vor seinem Freitod 1942 im Exil in Brasilien vollendete. Zweig rief wehmütig eine Zeit scheinbar grenzenloser Mobilität und Harmonie zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Erinnerung. Angesichts des Aufkommens von krankhafter Xenophobie und der 'Erzpest' des Nationalismus schien er nun seine kosmopolitischen Vorstellungen begraben zu haben. Er erkannte, dass die Angst vor Fremden vielerorts ein beunruhigendes Ausmaß angenommen hatte. Barrieren und Exklusionsmaßnahmen gegenüber unwillkommenen Ausländern stellten spätestens in den 1930er- und 1940er-Jahren eher die Regel als die Ausnahme dar. Xenophobie war jedoch kein selbstverständliches Resultat des Ersten Weltkrieges. Ihre Entstehung muss erklärt werden. Woher kamen das Misstrauen und der Hass? Wer schürte die Ressentiments? Die Angst vor Fremden entsteht nicht im luftleeren Raum. Die Vermittlung von Xenophobie, so wird dieses Buch zeigen, ist an das Handeln von Akteuren, Kommunikationsmedien sowie an konkrete Kontexte gebunden. Nicht ohne Grund stellte der Chronist Domingos Ribeiro Filho 1927 in der in Rio de Janeiro veröffentlichten Zeitschrift A Careta verschiedene Formen der Fremdenangst heraus. Er ging auf die 'offizielle', 'akademische' und auch die 'journalistische' Xenophobie in Brasilien ein. Dass Medien heute mit Ängsten spielen und diese gezielt schüren, ist hinlänglich bekannt, wie die Debatten um Migration und Asyl veranschaulichen. Dabei handelt es sich keinesfalls um eine Entwicklung, die ausschließlich in der Gegenwart zu beobachten oder lediglich auf die neuen Medien zurückzuführen ist. Sie hat vielmehr eine lange Geschichte, die vonseiten der Wissenschaft gerade in Regionen außerhalb Europas und Nordamerikas bislang nur wenig Aufmerksamkeit erfahren hat. Brasilien stieg dank liberaler Gesetze um die vorletzte Jahrhundertwende zu einem der am stärksten durch Einwanderung geprägten Länder des amerikanischen Doppelkontinents auf. Zwischen 1881 und 1915 hieß das Land ungefähr drei Millionen Immigranten aus aller Welt willkommen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stieg auch die Einwohnerzahl rasant. Lebten um die Jahrhundertwende erst gut 17 Millionen Menschen in Brasilien, waren es 1920 bereits über 30 Millionen. Das Land nahm vor Armut, Unruhen und Unterdrückung fliehende Personen auf und lockte Arbeitskräfte aus Europa, Asien und dem Nahen Osten an. Zusammen mit der indigenen und der afrobrasilianischen Bevölkerung bildeten all diese Menschen eine multiethnische Gesellschaft, die insbesondere im Ausland als vermeintliche >Rassendemokratie< präsentiert werden sollte. Um sowohl Zweigs als auch Ribeiro Filhos Feststellungen verstehen zu können, müssen die Entstehung und die Verbreitung von Xenophobie untersucht werden. Das Brasilien des frühen 20. Jahrhunderts erweist sich als anschauliches Beispiel dafür, wie Wahrnehmungen von Mobilität, Diversität und einer enger zusammenwachsenden Welt mit der vor allem durch die Presse propagierten Xenophobie und mit Abschottung einhergingen. Abstrahiert geht es im Folgenden um das Problem der Hintergründe und der treibenden Kräfte, die die Vermittlung von Ängsten ermöglichen. An dieser Stelle sollen zunächst drei zentrale Elemente des Forschungsrahmens skizziert werden. Relevant sind in einem ers
Inhalt Einleitung 7 1. Chancen und Gefahren im Weltkontext um 1900 42 1.1 Immigration als Ziel und Risiko 43 1.2 Ambitionen und Enttäuschungen in Wirtschaft und Politik 48 1.3 Neue Medienakteure und Transformationen der Öffentlichkeit 52 1.4 Zusammenfassung 64 2. Bekräftigung und Entkräftung des Feindbilds vom Deutschen im Ersten Weltkrieg 67 2.1 Gerüchte um Immigranten in Südbrasilien 69 2.2 Gefahrenwahrnehmungen durch innerbrasilianische Zeitungshetze 80 2.3 Überregionale Verbreitung einer latenten Bedrohung 93 2.4 Die Luxburg-Affäre als Medienereignis 101 2.5 Nachrichtenpolitik und Xenophobie als Erbe des Krieges 111 2.6 Zusammenfassung 123 3. Fälschung und Verfälschung beängstigender Zukunftsszenarien japanischer Immigration 126 3.1 Konstruierte Gefahren für die westliche Hemisphäre 128 3.2 Verbreitung und Transformation einer Falschmeldung 141 3.3 Übersetzungsversuche der Implikationen des Asian Exclusion Act 154 3.4 Missverständnisse zwischen Tokio und Amazonien 170 3.5 Zusammenfassung 187 4. Bedeutung und Umdeutung der ›Unerwünschten‹ in Zeiten globaler Umbrüche 191 4.1 Von ›Sündenböcken‹ zur fremdenfeindlichen Pressekampagne 193 4.2 Naturalisierungs- und Pathologisierungsstrategien 211 4.3 Vereinfachte Forderungen nach Exklusion 229 4.4 Feinderzeugung im transnationalen Raum 246 4.5 Zusammenfassung 260 5. Zäsuren, Kontinuitäten und Hintergründe der Xenophobie 264 5.1 Die Revolte von São Paulo und die Medien 265 5.2 ›Fremdenrevolte‹ und Gesellschaftskrise 272 5.3 Nationalismus und Ausgrenzung zwischen Weltwirtschaftskrise und Estado Novo 284 5.4 Zusammenfassung 293 Schlussbetrachtung 295 Abkürzungsverzeichnis 317 Quellen und Literatur 318 Dank 351
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