Im Kreuzfeuer der Kritik von Marcus Böick/Marcel Schmeer - Taschenbuch

Im Kreuzfeuer der Kritik
Umstrittene Organisationen im 20. Jahrhundert
ISBN/EAN:  9783593510392
Sprache: Deutsch
Umfang: 556 S.
Einband: kartoniertes Buch
Ob Gewerkschaften, Unternehmen oder Parteien: Organisationen prägten die Geschichte des 20. Jahrhunderts ganz maßgeblich. Daher ist die Beschäftigung mit diesen - oftmals umstrittenen - Gebilden und ihren Hervorbringungen einer der Schwerpunkte zeithistorischer Forschung. Gerade in Deutschland erlebte die Geschichtsschreibung zu Organisationen durch die Aufarbeitung möglicher NS-Kontinuitäten in Behörden oder Ministerien einen bemerkenswerten Boom, dem bisher allerdings eine übergreifende Selbstreflexion fehlt. Anhand prägnanter Beispiele diskutiert dieser Band erstmals grundlegende Probleme bei der Analyse von Organisationen im Schnittfeld von Sozial- und Geschichtswissenschaft.
Marcus Böick ist Akademischer Rat an der Professur für Zeitgeschichte der Universität Bochum. Marcel Schmeer ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter.
Aus dem toten Winkel ins 'Kreuzfeuer der Kritik'? Organisationen in der zeithistorischen Theorie und Praxis Marcus Böick und Marcel Schmeer Organisationen: Praktisch sind sie überall, theoretisch aber nirgendwo. So könnte man, sicher zugespitzt, den derzeitigen Reflexions- und Diskussionsstand weiter Teile der deutschen Zeitgeschichtsforschung zur Organisationsgeschichtsschreibung beschreiben. Organisationen bilden in der Praxis eine zentrale Referenz zeithistoriografischen Arbeitens und Forschens: oft als fokussierte Forschungsobjekte, stets auch als wesentliche Produzenten von verwendeten Archivalien und Quellen, fast immer als institutionelle Arbeit- oder Auftraggeber, etwa in Form von Universitäten, Forschungsinstituten, Fachverbänden, Stiftungen und von Museen, Gedenkstätten und insbesondere Archiven. Historiker/innen sind, allem langjährig kultivierten Einzelkämpfertum zum Trotz, durch und durch selbst organisierte Organisationswesen; die Geschichtswissenschaft als wissenschaftlich-akademische Disziplin ist Produkt moderner Organisationsbildungen an Universitäten, Instituten oder in ihren Fachverbänden. Und vielleicht ist es auch gerade diese arbeitsweltlich-professionelle Omnipräsenz des Organisationellen, die in der zeithistoriografischen Theorie insbesondere Organisationen als scheinbar unhinterfragte Selbstverständlichkeiten weitgehend zum Verschwinden bringt - und dies aller theoretischen Debatten um immer neue methodische Trends und 'turns' zum Trotz. Aber warum ist das so? Es ist durchaus mehr als ein semantisches Glasperlenspiel, dass die deutschsprachige Geschichtswissenschaft - im markanten Gegensatz zur hiesigen Soziologie - nie trennscharf zwischen Organisationen und Institutionen zu unterscheiden pflegte und pflegt. Während die Begriffe im zeithistorischen Feld weitgehend synonym gebraucht werden, differenziert die Sozialwissenschaft sehr trennscharf zwischen Organisationen als genuin moderner Sozialform mit spezifischen Funktionen und benennbaren Strukturen (wie etwa Mitgliedschaften, Zwecken oder Hierarchien ) einerseits sowie Institutionen andererseits Diese werden als der bewussten Reflexion entrückte 'soziale Tatbestände' begriffen, die ihrerseits als übergeordnete gesellschaftliche Normen scheinbar überzeitliche oder gar universelle Gültigkeit beanspruchen. Der Verwaltungsexperte Wolfgang Seibel hob diese fundamentale Unterscheidung plastisch hervor: 'Organisationen (.) werden vor unseren Augen gegründet, und sie können, wenn sie sich als relativ oder absolut unzweckmäßig erweisen, verändert oder auch wieder aufgelöst werden. Mit institutionalisierten sozialen Strukturen verhält es sich grundlegend anders. Sie treten uns zunächst als quasi-gegenständlich gegenüber, und sie können auch nicht von heute auf morgen geändert werden, selbst wenn starke Veränderungsimpulse in der Gesellschaft dies nahelegen.' Für Seibel erscheint die staatliche Verwaltung als nachgerade klassisches Paradebeispiel für eine (moderne) Organisationsform, Familie oder die Ehe hingegen als klassische Institutionen - eben als jene umfassend akzeptierten sozialen Tatsachen, über deren 'Sinn' man - wie schon Emile Durkheim in den Anfängen der wissenschaftlichen Soziologie herausgearbeitet hat - nicht tagtäglich grundlegend reflektieren müsse oder gar könne. Die kategorische Differenzierung zwischen Organisationen und Institutionen ist auf diese Weise wesentlicher Ausgangspunkt sozialwissenschaftlicher Organisationsforschungen, der diese als Forschungs- und Analysegegenstände greifbar werden lässt. In der geschichtswissenschaftlichen Theorie und Praxis spielt diese kategorische Unterscheidung bezeichnenderweise keine nennenswerte Rolle. Man könnte auch sagen, dass sich Organisations- und Institutionenbegriff in der zeithistorischen Anwendung oft auf problematische wie bezeichnende Weise miteinander vermengen: Zwar werden Organisationen in zahlreichen Einzelstudien als spezifisch-konkrete Ordnungsprinzipien des Sozialen
Inhalt Aus dem toten Winkel ins »Kreuzfeuer der Kritik«? Organisationen in der zeithistorischen Theorie und Praxis 9 Marcus Böick und Marcel Schmeer I. Organisationsforschung und Geschichtswissenschaft Umstrittene Organisationen. Theoriekonzepte, Falltypologien und interdisziplinäre Forschung 69 Wolfgang Seibel Kein Dienst nach Vorschrift. Geschichtswissenschaft und Organisationstheorie 87 Thomas Welskopp Zur Programmatik einer historisch-soziologischen Organisationsforschung 103 Rena Schwarting Der kritische Blick auf sich selbst. Zur Verantwortung der historischen Zunft in der Behördenforschung 139 Christian Mentel II. Organisationen in der Sphäre des Ökonomischen Umstrittene Konzerne. Der Umgang deutscher Großunternehmen mit ihrer NS-Vergangenheit am Beispiel von Daimler-Benz in den 1980er Jahren 165 Sebastian Brünger Ein umstrittenes Unternehmen. Die Debatte über die Lufthansa 1929 und ihre Folgen 195 Lutz Budrass (Un-)Sicherheitsproduzent und Gefahrensonde. Die Versicherungswirtschaft und die Kontroverse über die Atomenergie in den 1970er Jahren 215 Christoph Wehner Fluss in Sicht. Methodisch-konzeptionelle Herausforderungen und Möglichkeiten einer Organisationsgeschichte der Emschergenossenschaft und des Lippeverbandes 239 Eva Balz und Christopher Kirchberg III. Staat als Organisation – Staatliche Organisationen Der Staat als umstrittene Organisation. Die Verwaltungsreform der Habsburgermonarchie in den 1910er Jahren 263 Peter Becker Soziologen, Straßenkämpfer, Psychobullen. Die West-Berliner Polizei als umstrittene Organisation 285 Marcel Schmeer Der Sozialstaat auf dem Prüfstand. Ausdeutungen und Narrationen seit den 1970er Jahren 323 Christoph Lorke Risikoregulierung als soziale Praxis. Organisationsgeschichtliche Zugänge zur Unfallversicherung 351 Daniel Trabalski Zwischen Erwartungen und Instrumentalisierung. Die Stasi-Unterlagen-Behörde als umstrittene Organisation 379 Markus Goldbeck Umstrittene Kokarden. Militär und Militärs zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik 405 Martin Platt IV. Organisationen jenseits von Wirtschaft und Staat Die Gewerkschaften. Ein klassisches Objekt der Organisationssoziologie 437 Knud Andresen Meta-Organisationen in Zeiten des Wandels. Die »Deutsche Jugend des Ostens« als Gegenstand gesellschaftspolitischer Kontroversen der Nachkriegszeit 453 Anne-Christine Hamel Parteien(geschichte) in der Krise? 485 Bernd Faulenbach Die umstrittene Nachfolge des nationalsozialistischen Deutschen Alpenvereins in Österreich 503 Gunnar Mertz Radikale für den Kapitalismus. Die Objektivisten in New York City, 1962–1968 527 Vojin Saša Vukadinovi? Autorinnen und Autoren 551 Dank 555
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