Der Wille zur Lust von Svenja Flaßpöhler - Taschenbuch

Der Wille zur Lust
Pornographie und das moderne Subjekt
ISBN/EAN:  9783593383316
Sprache: Deutsch
Umfang: 259 S.
Einband: kartoniertes Buch
Mit der Moderne entstand eine Pornographie, die allein der Erregung diente. Erstmals äußerte sich dieser Wille zur Lust in den Schriften des Marquis de Sade. Seitdem ist die Pornographie in viele Bereiche des Alltags vorgedrungen und zu einem prägenden Element westlicher Kultur geworden. Svenja Flaßpöhler zeichnet diese Entwicklung nach und erläutert schließlich, warum insbesondere der Film geeignet ist, unser Bedürfnis nach selbstgenügsamer Erregung zu stillen. Die bewegten Bilder zeigen uns etwas vermeintlich 'Reales' - etwas, das die Schrift nur als Abwesendes zu bezeichnen vermag - und erregen uns fast wie auf Knopfdruck. Damit werden wir zu Lustmaschinen, die sich selbst genügen und den Anderen nicht mehr brauchen, um Befriedigung zu erlangen.
Svenja Flaßpöhler, Dr. phil., promovierte in Philosophie an der Universität Münster. Als freie Autorin arbeitet sie für den Deutschlandfunk und schreibt unter anderem für die FAZ, die Welt, den Freitag, die Berliner Zeitung und Psychologie Heute.
Die Pornographie, so scheint es, ist salonfähig geworden. Auf überlebensgroßen Plakaten klemmt Ex-Pornostar Gina Wild ein Dosengetränk "in klassischer Titfuck-Pose" zwischen ihre Silikonbrüste und lächelt in die Kamera; die lolitahafte Popsängerin Britney Spears verwandelt sich in ihrem Videoclip Toxic (2004) in eine professionelle tease, die dickliche, bebrillte Männer gekonnt auf der Flugzeugtoilette verführt; die Kunstkritikerin Catherine Millet entwirft sich in ihrer Autobiographie Das sexuelle Leben der Catherine M. als eine durch und durch triebgesteuerte Kunstszenen-Nymphomanin; die Schriftstellerin Nelly Arcan erzählt von ihrer Vergangenheit als Hure, und die ehemalige Pornodarstellerin Sibel Kekilli verlässt die Berlinale 2004 mit einem Goldenen Bären. Das Pornographische, schreibt Jörg Metelmann, "ist [.] vollends aus den tabuisierten Räumen des tolerierten Verwerflichen an die Oberflächen der breiten Öffentlichkeit getreten; es pornoisiert den Mainstream, die Popkultur. Pornowerbung schmückt Fassaden und Museen, Popstars wollen mit eindeutig zweideutigen Clips den Pop retten, >explicit contents< füllen die CD-Regale und Buchläden". Doch derart pornographisiert wie Metelmann meint, ist die breite Öffentlichkeit dann in letzter Konsequenz doch nicht. Zwar gibt es auf Plakatwänden durchaus Frauen zu sehen, die verheißungsvoll lächelnd und eine Schürze mit der Aufschrift "Kleine Schweinerei gefällig?" tragend ihren Mund zu einem saftigen Fleischspieß führen. Völlig undenkbar ist es hingegen, in einer Werbung tatsächlich ein steifes Glied, geschweige denn eine Fellatio zu zeigen. Und auch im Mainstreampop gibt es nach wie vor Grenzen - Grenzen, die etwa durch den Skandal um die herausgerutschte Brust Janet Jacksons bei einem Superbowl-Auftritt deutlich markiert werden. Überschreitungen des guten Tons sind tatsächlich nach wie vor nur in der alternativen Musikszene zu beobachten, so etwa wenn die kanadische Elektropunkerin Peaches ihr Schamhaar wild aus den Hot-Pants wuchern lässt, sich während ihrer Auftritte ein Mikrophon zwischen die Beine schiebt und auf ihrer Internetseite eine Scrotch Gallery einrichtet. Doch selbst Peaches ist immer noch weit davon entfernt, tatsächlich ihre Vulva in die Kamera zu halten: Die Genitalien bleiben in den Medien der breiten Öffentlichkeit bedeckt - und dies zunächst einmal einfach deshalb, weil eine Zurschaustellung pornographischen Materials nach §184 des Strafgesetzbuches verboten ist. Doch vielleicht lässt sich für die öffentliche Zurückhaltung noch ein weiterer Grund anführen. Denn mit Winfried Menninghaus könnte man vermuten, dass es selbst einer provokanten Elektropunkerin wie Peaches letztendlich um einen ästhetischen und nicht um einen sexuellen Genuss geht. So behauptet Menninghaus unter Rückgriff auf Sigmund Freud, dass wir Genitalien nicht schön, sondern sexuell erregend fänden und sich genau auf diese Differenz die Genese des Ästhetischen zurückführen lasse: "Wären auch die menschlichen Genitalien selber schön, wären sexuelle und ästhetische Erregung koextensiv. Nur in dem Maß, in dem es zwischen beiden eine Diskrepanz gibt, eröffnet sich die Möglichkeit eines funktionalen Eigenwerts des Ästhetischen und einer Sublimierung durch Schönheit [.]."
Dank 7 Einleitung 8 1. Zum Unterschied von Pornographie und scientia sexualis 24 1.1 Scientia sexualis: Wissen als Primärzweck 30 1.1.1 Die Wende am Beginn der Moderne 31 1.1.2 Die Geister wieder loswerden 36 1.1.3 Regulative Himmelskörper 47 1.2 Pornographie: Lust als Primärzweck 56 1.2.1 "Frevlerische Diskurse" 57 1.2.2 Erregung statt Einpflanzung 61 1.2.3 Körperutopien 80 2. Lustmaschinen: Vom Materialismus zur Pornographie 82 2.1 Sades "Pornosophie" 82 2.2 Immanente Triebkräfte 87 2.2.1 Tat ohne Täter 87 2.2.2 Die Natur ist asozial 91 2.2.3 Die Einbildungskraft als erregender Zerrspiegel 98 2.3 Transzendenz durch die Hintertür 105 2.3.1 Wollust als Pflicht 106 2.3.2 Die ewiggleiche Dramaturgie der Orgie 111 2.3.3 Die Überschreitung 116 2.3.4 Die Zerstörungslust macht vor sich selbst halt 120 2.4 Die Lustmaschine 125 3. Selbstvollendende Lustmaschinen 130 3.1 Hegel: Selbstvollendung durch den Anderen 132 3.1.1 Erfahrung statt Kategorienbrille 132 3.1.2 Die Begierde als Initialzündung 136 3.1.3 Herr und Knecht 140 3.2 Sade: Selbstvollendung durch reine Negation 145 3.2.1 Der Libertin kämpft nicht 145 3.2.2 Wohldosierte Stromstöße 146 3.3 Der Tod bei Sade und Hegel 158 3.3.1 Verfügung ins Allgemeine 159 3.3.2 Der ›kleine Tod‹ 163 3.4 Asymptotische Annäherung vs. kreisförmige Wiederholung 167 3.4.1 Triebverdrängung bis zur Vervollkommnung 167 3.4.2 Der Libertin fängt immer wieder bei (fast) Null an 170 3.5 Hand an sich legen: Die Selbstvollendung der Libertins 174 3.5.1 Primärer Narzissmus 175 3.5.2 Der Masturbator 180 4. Selbstvollendung ohne Verlangen: Der Pornofilm 184 4.1 Flinker Kupferstecher: Von Sade zum Pornofilm 187 4.1.1 Die Schrift verliert ihre repräsentative Kraft 190 4.1.2 Der Geschlechtsakt im reinen Licht der Apparatur 202 4.2 Sichtbarkeit gegen die Angst 210 4.2.1 Negierte Komplizenschaft 213 4.2.2 Die Angst im Griff des Masturbators 222 5. Die pornographische Besessenheit 246 6. Literatur 252
Von de Sade zum Pornofilm
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