Thomas Meyer | Hannah Arendt. Die Biografie

Der Reiz des Buches besteht darin, dass Meyer überzeugend zeigen kann, dass Arendts ganz praktische Tätigkeiten einen starken Einfluss auf ihr Denken nahmen – und natürlich umgekehrt. Ihr Denken war mithin eines, das von der großen Katastrophe geprägt wurde, die über die Juden in Europa hereinbrach. Und von dem Gefühl der Machtlosigkeit, gegen das sie, und dies belegt die Biografie sehr eindrücklich, immer wieder anzukämpfen versuchte. Daraus abgeleitet sind ihre Überlegungen zu Staat, Nation, dem Status von Exil, der Staatsbürgerschaft unter den Bedingungen der Zeit, die ihr Werk bis zuletzt wie ein roter Faden durchzogen. Wer sich also mit Werk und Leben der Hannah Arendt intensiv beschäftigen möchte und einen neuen Aspekt ihres Lebens und Werks gewinnen möchte, kommt an dieser einsichtsvollen und quellenreichen Biographie nicht vorbei.

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Nunmehr kann auf der Grundlage dieser Dokumente ihre Tätigkeit für mehrere, bis auf eine Ausnahme jüdische Organisationen detailliert nachvollzogen werden, vor allem für jene, die sich der Kinder- und Jugend-Alijah – der jüdischen Immigration aus der Diaspora ins »Land Israel« – verschrieben hatten. Die Folgen, die ihre Erfahrungen bei der Auswahl von Kindern und Jugendlichen angesichts der unvorstellbaren Zahl derer, die nie auch nur in die Nähe einer Chance auf Rettung kamen, für Arendts Denken, ihr Verhältnis zu Menschen, ihre Biografie im umfassenden Sinne des Wortes hatten, können in diesem Buch gleichwohl nur angedeutet werden. Der Kampf der überzeugten Zionistin für das Weiterleben ihres Volkes war ebenso durch ein unbedingtes Engagement wie durch eine tiefe Verzweiflung über die Mittel gekennzeichnet, die ihr und ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern zur Verfügung standen, eine Verzweiflung, die sie aber keinen Moment von ihrer Aufgabe abhielt. In diesen Jahren lernte Arendt äußerst schmerzhafte Lektionen über Bürokratie, Hierarchien und die Ohnmacht angesichts eines Feindes, der seine totale Herrschaft über alle bisher bekannten Grenzen menschlicher Abgründe hinausführte. Die von Arendt häufig geäußerte Einsicht über die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden – dass da etwas geschehen sei, was nicht hätte geschehen dürfen, und »wir alle nicht mehr darüber hinwegkommen« würden – fußte auf ihren Pariser Erlebnissen und dem, was sie dann ab 1941 in den USA über die Ermordung der letzlich über sechs Millionen Opfer erfuhr.
 

 

Quelle: Dieser Buchtipp stammt aus unserem SEKO Newsletter 42/23 mit Buch- und Rundfunktipps für literarisch Interessierte und Neuigkeiten rund um SEKO. Zur Anmeldung geht es hier.

Hannah Arendt
Hörbuchdownload - Die Biografie, Gelesen von: Timo Weisschnur/Maria Hartmann
ISBN/EAN: 9783844934403