Tillie Olsen | Ich steh hier und bügle

»Das flammende Wort des politischen und sozialen Engagements ist der Rednerin Tillie Olsen wohlvertraut, aber als Schriftstellerin will sie Konkretion, Bestimmtheit, das leise treffende Wort«, so faßt es Jürgen Dormagen in seinem aufschlussreichen Nachwort zur Neuausgabe dieser vier zusammengehörigen Erzählungen zusammen. Tillie Olsen (1912-2007), engagierte Gewerkschafterin, Kommunistin und feministische Pionierin, gehört zu den sehr raren Vertreterinnen der Schriftstellerzunft, der es gelingt, unmittelbar in das Innere der Lebenswirklichkeiten ihrer Figuren vorzudringen. Beeindruckend und begeisternd ist dabei ihr genaues Ohr für Sprechtöne und Sprachrhytmen. Sie lauscht und sammelt, was die Welt um sie herum hergibt, denn nichts ist an sie verschwendet.

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Ich steh hier und bügle, und was Sie von mir hören wollen, gleitet gequält mit dem Bügeleisen hin und her. »Schön wärߴs, Sie fänden die Zeit, vorbeizukommen und mit mir über Ihre Tochter zu sprechen. Bestimmt können Sie mir helfen, sie zu verstehen. Sie ist eine Jugendliche, die Hilfe braucht, und mir liegt sehr daran, ihr zu helfen.« »Die Hilfe braucht …« Selbst wenn ich vorbeikäme, was würde das bringen? Sie glauben, weil ich ihre Mutter bin, hätte ich einen Schlüssel oder Sie könnten mich als eine Art Schlüssel benutzen? Sie lebt seit neunzehn Jahren dieses Leben. So viel Leben, das sich fern von mir abgespielt hat, jenseits von mir.

 

Quelle: Dieser Buchtipp stammt aus unserem SEKO Newsletter KW 15/2023 mit Buch- und Rundfunktipps für literarisch Interessierte und Neuigkeiten rund um SEKO. Zur Anmeldung geht es hier.