Marlen Hobrack | Schrödingers Grrrl

Tot oder lebendig? Hochstaplerin oder Opfer? Betrug oder Spiel? Mit erkennbar viel Spaß führt Marlen Hobrack die Konventionen eines durchökonomisierten Gesellschafts- und Literaturbetriebes vor. Das ist scharfsinnig ausgedacht und oft scharfzüngig formuliert. Dabei bleibt sie eisern die Antwort schuldig, wie echt, wie authentisch das Erzählte denn nun wäre, schichtet sie doch Versatzstück auf Versatzstück und wirft dem »Tiger« Publikum alles in den Rachen, was es sich von einer angry young woman erhoffen darf. Doch liegt das Eigentliche, das Zentrum dieser Erzählung in den Beobachtungen alltäglicher Szenen und Geschehnisse, den Dialogen, die so wunderbar dem Leben abgelauscht sind und der wundersam lässigen Handhabung der unterschiedlichen Erzählperspektiven. Es ist eben »[s]o eine irre Geschichte«, die, oft ironisch im Ton, doch ganz und gar unsarkastisch mit überraschend viel Herz erzählt ist.

//leseprobe

Nur eine Gruppe war über jeden Zweifel erhaben. Alle jungen Frauen blieben sitzen, wenn der Halt »Arbeitsamt« ausgerufen wurde. Alle, bis auf Mara. Vielleicht lag es daran, dass diese jungen Frauen strebsamer waren, dass sie sich niemals die Blöße geben würden, zum Arbeitsamt zu gehen, auch nicht zur Überbrückung der Zeit zwischen Einser-Abitur und Medizinstudienbeginn. Vielleicht gerieten sie gar nicht erst in die Situation, irgendetwas überbrücken zu müssen, weil sie ständig zu tun hatten mit ihren Praktika auf Pferdegestüten oder in Kleintierarztpraxen oder ihren Work-and-Travel-Trips nach Neuseeland, ganz zum Missvergnügen ihrer besorgten Eltern, die keineswegs wünschten, dass ihre Töchter in Neuseeland Schafe hüteten und dabei mit irgendeinem sonnengegerbten Kiwi Zärtlichkeiten gegen Filzläuse tauschten. Aber wie läse sich denn ein Curriculum Vitae ohne nennenswerte Arbeitserfahrung im Ausland? […] Mara war neidisch. Weil sie ihnen ansah, dass es keinen Gram und Schmerz in ihrem Leben gab, einmal abgesehen von der gelegentlichen Magersucht Schrägstrich Bulimie Schrägstrich nicht näher zu bestimmenden Essstörung, die eigentlich in keinem Lebenslauf einer Mittelschichtsfrau, die etwas auf sich hielt, fehlen durfte. Vielleicht könnten sie eines Tages ein Buch darüber schreiben. Jedenfalls würde sich eine überwundene Essstörung gut auf ihren Instagram-Accounts machen, wenn sie beim Yoga an einem balinesischen Strand fotografiert davon kündeten, dass sie ihre Mitte gefunden hatten. Ihre Mitte! Jetzt waren sie wunschlos glücklich mit etwas Yoga, einem Sellerie-Smoothie in ihrer Hand und dem Strandoutfit, das aus 100 Prozent Organic Baumwolle von einheimischen Näherinnen gefertigt wurde. Link in Bio! Get a 25 % discount with Sarina25.

Quelle: Dieser Buchtipp stammt aus unserem SEKO Newsletter KW 15/2023 mit Buch- und Rundfunktipps für literarisch Interessierte und Neuigkeiten rund um SEKO. Zur Anmeldung geht es hier.